Camerata Vocale „Johannespassion“

von Johann Sebastian Bach – 1725 BWV 245

Karfreitag 15.04.2022, Herkulessaal München
Leitung: Clayton Bowman
Carmen Buchert – Sopran
Pauline Stöhr – Alt
Thaddäus Böhm – Tenor
Eric Price – Evangelist
Ansgar Theis – Bass
Niklas Mallmann – Jesus

Foto: Franz-Josef Seidl (fjsmedia)

„Soli Deo gloria“ (lat.: Gott allein sei Ehre)

So unterzeichneten Johann Sebastian Bach und zahlreiche weitere Komponisten ihre Werke. Ob sie damit hauptsächlich Dank für ihre von Gott gegebene musikalische Gabe oder auch für das Durchleben der aktuellen äußeren Umstände ausdrücken wollten, ist posthum nicht mehr nachzuvollziehen.

So bewegt die Biographie Bachs war, gezeichnet von Ortswechseln abhängig von der Auftragslage und damit einhergehenden finanziell unbeständigen Situationen, so ungewiss gestaltet sich auch die Konzert- und Probenplanung in Pandemiezeiten. Umso schöner ist es für uns, dieses Projekt heute zur Aufführung zu bringen. Und ähnlich wie schon vor 300 Jahren ist Kunst auch weiterhin abhängig von der Gunst der Situation. An dieser Stelle möchten wir, die Camerata Vocale München, uns herzlich bei der Stadt München, dem Verband Deutscher Konzertchöre und der Hans und Dorothea Doleschal Stiftung für die finanzielle und befürwortende Unterstützung bedanken.

Schon im Juli 2021 konnten wir mit Schütz’ Exequien im Herkulessaal gastieren und dürfen heute wieder an diesen Ort zurückkehren, mit einem der monumentalsten Werke der Musikgeschichte.

Der historische Hintergrund der Passionsmusik

Die Passionsgeschichten der vier Evangelisten beschreiben die Leidensgeschichte der letzten Tage Jesu, seine Kreuzigung und wie Maria Magdalena sein leeres Grab vorfindet. Der nahezu identische Aufbau aller vier Passionsberichte – allen voran bei den Synoptikern (Markus, Matthäus & Lukas) lässt vermuten, dass es eine ursprüngliche Quelle gab, auf die sich mehrere der Evangelisten bezogen.

Erste Nachweise über die Lesung der Passionen in der kirchlichen Liturgie stammen aus dem 4. Jahrhundert. Ab dem 10. Jahrhundert sind Vorträge der Passionsgeschichten durch mehrere Lesenden nachweisbar, in denen die Textpassagen des erzählenden Evangelisten, des sprechenden Jesu und der übrigen Personen auf drei Vortragende aufgeteilt wurden. Die Passionsmusik, wie wir sie heute hören, hat sich aus eben dieser kirchlichen Tradition der Passionslesung auf bestimmten Tönen entwickelt.

Ab dem 14. Jahrhundert war es üblich, in der Karwoche die Leidensgeschichte Jesu vertont vorzutragen. Dabei rezitierten drei Vortragenden die unterschiedlichen Textpassagen der Evangelisten jeweils auf einem sogenannten Passionston. Überliefert ist, dass die vom Evangelisten erzählten Passagen (Narratio) auf einem c ́ rezitiert wurden, während die Worte Jesu eine Quinte tiefer auf einem kleinen f erklangen. Eine Oktave höher – also auf dem f ́ – übernahm der dritte Vortragende die Textpassagen der übrigen Einzelpersonen (Soliloquenten) und Personengruppen (Turbae). Musikalisch ergab sich also durch die drei erklingenden Töne f – c ́ – f ́ ein System, in welchem die wörtliche Rede Jesu das Fundament bildet, der erzählende Evangelist eine Quinte höher spricht und die übrigen Stimmen genau eine Oktave über Jesus schweben.

In den darauffolgenden Jahrhunderten schritt die musikalische Entwicklung der Passion parallel zur klassischen Musikgeschichte weiter voran. Es entwickelten sich mehrstimmige Passionsauszüge, bei welchen sich ein klares Gegenüberstellen des solistischen Evangelisten zu den übrigen Personen durchsetzte. Dabei blieben
die Passagen des solistisch besetzten Evangelisten einstimmig, während ein mehrstimmiger Choralsatz die restlichen Partien übernahm. Auf Grund ihrer an eine Konversation erinnernden Gestaltung wird diese Art der Passion responsoriale Passion genannt. Vier großartige Beispiele an Passionen, die für die bayerische Hofkapelle entstanden, stammen aus der Feder Orlando di Lassos aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. War bisher der Text originalgetreu im Lateinischen aus der Bibel entnommen, änderte sich das schlagartig mit der Einführung der deutschsprachigen Passion in den neu entstandenen, protestantischen Kirchen. Hier wurde in den Passionen ein Fokus auf die Bedeutung und die Auslegung des vorgetragenen Textes gelegt, was durch die Reduzierung der Mehrstimmigkeit und sogar durch die Rückkehr vom Singen zum Rezitieren erreicht werden sollte.

Eine instrumentale Begleitung setzte sich ebenso bis 1600 mit der Durchkomponierten und der Konzertierenden Passion durch. Die Menge an neu komponierten Passionen scheint schier unglaublich: In den hundert Jahren von 1640 bis 1740 sind über 150 Passionen von 45 Komponisten nachgewiesen! Im 17. Jahrhundert beeinflusste dazu der Generalbass (eine durchgehende Bassstimme, die das Fundament eines Stückes darstellt und meist von Orgel, Cembalo, Cello und/oder Gambe übernommen wird) die gesamte Epoche des Barocks in der Musik. Es ist also nicht verwunderlich, dass sich der auch als Basso Continuo bezeichnete Trend ebenso in den Passionen niederschlug. Auch die Erfindung der Oper und ihres geistlichen Gegenstücks – des Oratoriums – wirkten auf die Entwicklung der Passion ein. Schließlich wurde die oratorische Passion geschaffen, die sich fortan nicht mehr am originalen Bibeltext orientierte.

Diese gelangte in Norddeutschland schnell zu Popularität, da sie neben dem liturgischen Aspekt für die Zuhörenden auch eine künstlerische Unterhaltung darstellte. Die überlieferten oratorischen Passionswerke Bachs – also neben der Johannespassion auch die Matthäuspassion – stellen aus der heutigen Sicht nicht nur den Höhepunkt der Passionsmusik dar, sondern auch das Ende dieser Tradition. Erst im 20. Jahrhundert knüpften Komponist*innen der Moderne erneut daran an.

Text und Urheberin – Sophie Klaus