Hunger von Knut Hamsun

Knut Hamsun  Hunger

Dramatisierung des gleichnamigen Romans (1890)
in einer Textfassung von Frank Castorf

Neuinszenierung

In deutscher Sprache mit englischen Übertiteln.

Ende der Vorstellung ca. 00:30 Uhr

GRATIS BUS-SHUTTLE / PERNER-INSEL, HALLEIN
Anfang Reichenhaller Straße, Höhe Haus Nr. 4
(Abfahrt zur Perner-Insel: 1 Stunde vor Vorstellungsbeginn
Rückfahrt: direkt nach Vorstellungsende)

LEADING TEAM

Frank CastorfRegie
Aleksandar DenićBühne
Adriana Braga Peretzki Kostüme
Lothar BaumgarteLicht
William MinkeSounddesign
Andreas Deinert, Kathrin Krottenthaler, Kamera
Jens Crull, Maryvonne Riedelsheimer, Videoschnitt
Dario Brinkmann, William MinkeTonangel
Sebastian KlinkKünstlerische Produktionsleitung
Carl HegemannDramaturgie

ZUR PRODUKTION

Im Zentrum von Knut Hamsuns 1890 erschienenem Roman Hunger steht ein junger Mann jenseits jeder festen Bindung und offenbar ohne Freunde und Familie; ein junger Mann mit hohen Ansprüchen an sich selbst, auf der Suche nach Erfolg, nach zündenden Ideen, die man zu Geld machen kann. Hamsun verarbeitet darin Erfahrungen, die er selbst als junger Auswanderer in Amerika gemacht hat, auch wenn die Geschichte nicht in New York, sondern in Kristiania, dem heutigen Oslo, spielt. Der Hauptakteur, der sich selbst wechselnde Namen gibt, beginnt wie der junge Hamsun mit feuilletonistisch-literarischen Gelegenheitsarbeiten. Und wie Hamsun scheitert er spektakulär. Seine Texte werden abgelehnt: zu abgehoben, zu unverständlich. Das Geld bleibt aus. Er muss buchstäblich seinen letzten Jackenknopf verpfänden und gleichzeitig den Schein einer normalbürgerlichen Existenz wahren. Statt Erfolg und Karriere stellt sich Hunger ein, buchstäblicher, realer Hunger. Ohne Geld zu leben ist für ein auf sich allein gestelltes Individuum unmöglich. Und der nagende Hunger, von dem niemand wissen darf, obwohl er die gesamte Existenz bestimmt, macht es immer schwieriger, etwas Verwertbares zu produzieren.
Sein Verhalten wird sonderbar und wahnhaft, die Umwelt verwandelt sich auf gespenstische Weise, wird zusammenhanglos, unberechenbar. Die Differenz von Realität und Fantasie beginnt sich aufzulösen. Ein Leben auf der Kante.
Ein widersprüchlicher, maßloser Bewusstseinsstrom und eine extreme, aber kunstvolle Selbst- und Weltbeschreibung aus der Perspektive verborgener materieller Not, das findet sich in diesem Roman, in dem Hamsun sein eigenes Elend auf eine Weise zum Thema machte, wie es das in der Literatur vorher nicht gegeben hatte.
So wurde Hunger sein erster großer Erfolg, der den Schriftsteller auf einen Schlag berühmt machte – und ihn ein für allemal vom Hunger befreite. Sein nächster Roman, Mysterien (1892), handelt nicht mehr vom Hunger und vom Überleben, sondern von einem reichen Mann, der sich das Leben nimmt. Es ist die gleiche Figur wie in Hunger, nur befindet sie sich in einer anderen Situation: An die Stelle des Kampfes ums Überleben tritt die Sinnkrise.
Der norwegische Autor Karl Ove Knausgård sieht im Gegensatz von Überlebenskampf und Todessehnsucht in diesen frühen Romanen „das Amerika der Seele“ beschrieben. „Die Welt, die sie schildern, ist unsere eigene, wie sie war, als sie erschaffen wurde.“ Hamsun beobachtete das Entstehen des westlichen Menschen, des atomisierten Individuums, wie es sich im Amerika des späten 19. Jahrhunderts prototypisch für die weltweite kapitalistische Entwicklung herausbildete, und zeigte dessen fundamentalen Widerspruch in sich. Das mache diese Romane bis heute so frisch und gegenwärtig.

Hamsun wurde zu einem weltweit rezipierten Romancier und schrieb bis ins hohe Alter. 1920 bekam er den Nobelpreis. Als die Nazis Norwegen besetzten, feierte er sie als Befreier und unterstützte sie publizistisch. Seine Nobelpreisplakette schenkte er seinem Freund und Verehrer Joseph Goebbels. 1943 änderte er seine Meinung über die deutsche Besatzung in Norwegen, die er nun als brutale Gewaltherrschaft durchschaut hatte. Bei einer Begegnung auf dem Obersalzberg beschimpfte er Hitler heftig.
Nach dem Krieg wurde Hamsun wegen Kollaboration zu einer hohen Geldstrafe verurteilt, was auch zum finanziellen Ruin der Familie führte – sein Ruf als norwegischer Nationaldichter war dauerhaft beschädigt. Die unleugbaren Sympathien für den Nationalsozialismus bestätigen vielleicht auch die These des Hamsun-Verehrers Theodor W. Adorno, dass der Kapitalismus mit einer gewissen Zwangsläufigkeit zum Faschismus führe.

Frank Castorf inszeniert Hunger mit Teilen seines früheren Ensembles der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz für die Salzburger Festspiele auf der Perner-Insel in Hallein.

Carl Hegemann

Fotos: Ewa Blauth